17.12.2017

Weginspiration: Teilzeit als Ärztin in einer Hausarztpraxis

Ich freue mich so sehr, einen weiteren Erfahrungsbericht zu teilen. Mich selber inspirieren die unterschiedlichen Lebenswege sehr und ich finde es spannend und ermutigend. 

Falls ihr vielleicht auch gerade auf der Suche nach einer solchen Stelle seid, könnt ihr mir gerne eine Nachricht schicken und ich werde auch mehr Informationen zustellen. Ich fände es schön, wenn wir uns gegenseitig unterstützen würden in der Suche nach geeigneten (Teilzeit)Stellen. Falls du auch schon Teilzeit (mit oder ohne Familie) als Arzt/ Ärztin arbeitest, würde ich mich sehr freuen, auch deinen Weg hier vorstellen zu dürfen. 

Aber lest selber... Jetzt kommt Bettina zu Wort! Vielen Dank, liebe Bettina, dass du deinen Weg mit uns teilst. 

Bettina (Assistenzärztin)

Meine drei Kinder sind 2010, 2012 und 2016 geboren. Das erste nach 4 Jahren Studium, das zweite während dem Wahlstudienjahr und das dritte nach 1,5 Jahre nach dem Staats, nach 13 Monaten Praxisassistenz.

11/2014-10/1017 Praxisassistenz in einer Hausarztpraxis Kanton BL: 

Steckbrief der Hausarztpraxis:
  • Bis jetzt als hausärztliche Einzelpraxis geführt, Gruppenpraxis im Aufbau, Ziel 200 Stellenprozent auf 3-4 Ärztinnen verteilt
  • Schwerpunkt Psychosomatik
  • Ultraschall Abdomen, konventionelles Röntgen, Praxislabor, EKG, Spiro
  • Pensum und Arbeitszeiten frei wählbar. Ich habe je nach Familiensituation 80, 60, 35 und 50% gearbeitet. Zum Einstieg hochprozentig ist sicher leichter (wie überall) aber nicht Pflicht.
  • keine Nacht- und Wochenenddienste
  • Arbeitszeiten können gut eingehalten werden, allfällige Überstunden können kompensiert werden. Freiwünsche (resp. später kommen und früher gehen) praktisch immer möglich, wenn ca 3 Wochen im Voraus angekündigt.
  • Überstunden während Ferienvertretung erwünscht aber nicht Pflicht. (werden kompensiert oder ausbezahlt, je nach Wunsch)
Typischer Arbeitstag:
Ich komme um 8.10 in die Praxis. offizielle Praxisöffnungszeit ist zwar um 8.00, aber für mich ist der erste Patient erst um 8.15 eingeschrieben. (So kann am Morgen mit meinem Ältesten aufstehen und mit ihm aus dem Haus während mein Mann sich um die beiden kleinen Schwestern kümmert. So verläuft der Morgen stressfrei). Bis 12.00 habe ich alle 15 min eine Sprechstunde mit den üblichen hausärztlichen Patienten. Ich arbeite soweit selbstständig, wenn ich mir mal nicht sicher bin, hole ich meine Lehrpraktikerin dazu, sie trägt schlussendlich die Verantwortung. Falls zwischendurch mal Zeit frei bleibt, bearbeite ich Berichte von Spezialisten, Spital, weggeschickte Diagnostik. Dasselbe in den zwei Stunden Mittagspause. Die Mittagszeit steht auch zur Verfügung für Hausbesuche (meist zusammen mit Lehrpraktikerin, manchmal alleine), Pharmavertreter, Besprechungen im Team, Fallbesprechungen mit der Lehrpraktikerin, usw. Ab 14.00 wieder Sprechstunde bis 18.00. Bis alles fertig ist wird meist 18.30 Uhr. An den abgesprochenen Tagen kann ich aber auch früher heim und darf alle Arbeit liegen lassen. Generell sehr viel Patientenkontakt, wenig Schreibkram, viel Eigenverantwortung, wenig Teaching und Weiterbildung grösstenteils auf Eigeninitiative.

Ich habe die Stelle direkt ab Staats bekommen, bei initial entsprechend tiefem Lohn (4'500 brutto, Anstieg mit der zunehmenden Erfahrung und selbstständigem Arbeiten), weil man Geld für Praxisassistenz von Stiftungen oder Kanton erst mit mind. 2 Jahre klinischer Erfahrung bekommt. 
Blindbewerbung an alle Lehrpraktiker in der Region, konnte von Anfang an mein Pensum frei wählen, keine Stellenpartnerin notwendig. 
Arbeit ist möglich direkt ab Staats, später auch gut möglich, auch als Einstieg in eine Praxis als Fachärztin. Ich finde Praxisassistenz für alle empfehlenswert, egal ob man später in einer Praxis arbeiten will oder nicht. Auch für Spitalärzte ist es ganz gut zu wissen, woher ihre Patienten kommen und wohin sie gehen. Man kann 2 Jahre Praxisassistenz anrechnen lassen für den FMH Allgemeine Innere Medizin!

Für meine erste Stelle ab Staats war mir primär wichtig, dass ich als Ärztin arbeiten kann, mit viel Patientenkontakt, um das ganze theoretische Wissen aus dem Studium mal in der Praxis anzuwenden. Abgesehen davon habe ich eine Stelle gesucht, die ich mit den Bedürfnissen meiner Familie vereinbaren kann. Nach dem ich während dem Wahlstudienjahr 100% gearbeitet habe inkl. Nachtdienste und dies von den Kindern gar nicht gut vertragen wurde, habe ich entschieden, vorerst eine Stelle zu suchen, bei der ich keine Dienst machen muss und 80% arbeiten kann und fixe Arbeitstage habe. Lohn und Weiterbildung waren vorerst zweitrangig. Ich habe auch von Anfang an meiner Arbeitgeberin angekündigt, dass ich ein 3. Kind plane und mit ihr abgesprochen, dass ich entsprechend Urlaub machen kann und wann auch von der Praxis her ein guter Zeitpunkt dafür wäre. 
Langfristig verfolge ich das Ziel FMH Allgemeine Innere Medizin und möchte in einer Praxis arbeiten oder vielleicht sogar mal selber eine Praxis führen. Die Weiterbildung möchte ich grösstenteils in Teilzeitarbeit machen. Mein Mann arbeitet auch Teilzeit. Wir geniessen es sehr, beide gleichermassen an der Familienarbeit beteiligt zu sein. Nach dem ich seit 7 Jahren diese Aufgabe mit all ihren Herausforderungen erfülle, kann ich mir nicht mehr vorstellen, voll zu arbeiten. Das Familienleben zu gestalten und nah dran zu sein an der Entwicklung meiner drei Kinder ist ein essentieller Teil meines Lebens geworden, auf den ich nicht mehr verzichten will.
Auf der Seite des Berufs ist es mir auch wichtig, dass ich eine Arbeitsstelle habe, die ich zur Zufriedenheit aller ausführen kann und nicht wegen der Familie immer den Erwartungen hinterher hetze. Das würde mich selbst am allerwenigsten befriedigen. 
Entsprechend möchte ich die Weiterbildung langsam und bedacht angehen und die Arbeitsstellen so wählen, dass es mit der Entwicklung der Kinder und den entsprechenden Bedürfnissen der Familie einhergeht. Mit zunehmendem Alter der Kinder ergeben sich auch mehr Möglichkeiten. In diesem Sinne war diese erste Stelle für mich perfekt. Als nächsten Schritt folgt die Dissertation in einem 50% Pensum über 16 Monate. Auch dies wieder eine Stelle ohne Dienste und mit fixen Arbeitstagen mit einer gewissen Flexibilität. Ab 2019, wenn meine Jüngste drei Jahre alt sein werde, plane ich eine 50% Stelle im stationären Bereich mit möglichst wenig Diensten und der Aussicht, dass die 10h pro Tag einigermassen eingehalten werden können. Mal sehen, ob ich so etwas finde. Alles weitere ist noch offen.

Kinderbetreuung: 
 Aktuell zwei Mama-Tage, zwei Papa-Tage und einen Grosi-Tag pro Woche. Es gab aber auch schon Zeiten, in denen ich oder mein Mann oder wir beide mehr gearbeitet haben. Zeitweise gingen die Kinder 1-2 Tage pro Woche zu einer Tagesmutter. Für ausserordentliche Einsätze stehen noch die andere Grossmutter und eine Babysitterin zur Verfügung.

Wünsche: 
- 42h Stundenwoche
- die Möglichkeit, Berichte von zu Hause aus zu schreiben (auf Arbeitszeit!)
- fixe Arbeitstage
- generelle Einstellung gegenüber Assistenzärzten, dass man nicht immer verfügbar ist und auch noch Pflichten ausserhalb des Spitals hat
- Pensen zwischen 50 und 100%, nicht nur entweder oder

Tipps: jetzt wirds eben schwierig :-)
Ich persönlich habe es vorteilhaft gefunden, die Kinder während dem Studium zu bekommen. Man ist frei, sich in der Schwangerschaft so zu schonen, wie es gerade gut ist. Es leiden auch keine Teamkollegen darunter, wenn man eine Vorlesung ausfallen lässt. Der Wiedereinstieg nach der Geburt ist leicht, man hat keine Verantwortung. Ein sehr grosser Teil der Zeit kann man frei einteilen.
Der Einstieg ins Berufsleben ist dafür sicher nicht leicht. Ich habe für mich einen guten Weg gefunden, aber den muss man sich schon aktiv suchen, viel Hilfe ist da nicht zu erwarten. Kein Spital wartet darauf, eine Mutter anzustellen.
Ich denke, jeder Weg ist so einzigartig wie jede Familie. Nicht alle Kinder und nicht alle Eltern haben die gleichen Bedürfnisse. Die Schwierigkeit ist nur, dass man im Voraus nicht weiss, was für ein Kind man bekommt und wie man als Eltern funktioniert. Somit bleibt der einzige Tipp wohl der, dass man dieses Abenteuer mit viel Achtsamkeit angehen soll und die Flexibilität mitbringen muss, den Weg immer wieder neu zu suchen, und dabei auch unkonventionelle Ideen und Umwege eine Rolle spielen dürfen. Oft ist viel mehr möglich, als man zu Beginn denkt.
Und noch ein letzter Tipp: eine Beratung bei der Fachstelle UND hat uns sehr geholfen, diesen für uns stimmigen Weg zu definieren.

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